Spieglein, Spieglein an der Wand: Probleme und Chancen der Vergleicheritis
Zu hohe Erwartungen an uns selbst brennen uns aus. Indem wir stets mit anderen mithalten wollen, verlieren wir den Draht zu uns selbst und hindern uns aktiv daran, gelassen kreativ und produktiv zu sein. Doch warum vergleichen wir uns mit anderen? Welche Probleme bringt dieses Verhalten mit sich? Und wie können wir die Vergleicheritis positiv für uns nutzen? Dazu mehr in den kommenden Zeilen.
Aller Anfang ist Vergleich
Sich mit anderen zu vergleichen ist ein natürlicher Prozess. Vor allem für Kinder ist der Vergleich mit anderen in der Entwicklung entscheidend, da sie durch Beobachtung und Nachahmung ihre Umwelt erfahren. Sich zu vergleichen ist daher tief in uns verankert und findet oft unbewusst statt. Leon Festinger, Begründer der Theorie des sozialen Vergleichs, nennt in diesem Zusammenhang den Abwärts- und Aufwärtsvergleich: Im ersten Fall vergleichen wir uns mit Personen, die in einem Bereich schlechter sind als wir. Dadurch steigern wir unser Selbstbewusstsein, laufen aber Gefahr, ein ungesundes Überlegenheitsgefühl zu entwickeln. Im zweiten Fall vergleichen wir uns mit Menschen, die unserer Meinung nach erfolgreicher, schöner, beliebter etc. sind. Dies führt dazu, dass wir lediglich unsere Schwächen, nicht aber unsere Stärken sehen. Wir kritisieren unsere Fähigkeiten und konzentrieren uns auf die „Mängel“, worunter unser Selbstwert leidet. Die Folge: Wir arbeiten so hart an uns, dass wir unter den gesetzten Erwartungen beinahe zusammenbrechen.
Vergleicheritis: Gefangen im Hamsterrad der Selbstoptimierung
Obwohl wir wissen, dass der Vergleich mit anderen nicht der Maßstab für die eigenen Ziele sein soll, jagen wir all jenen nach, die es in unseren Augen „geschafft“ haben. Denen, die reich an Geld, Lebensfreude und Freiheit sind. Wir nehmen Menschen in ihrer optimierten Form wahr. Und das führt uns in dunkle Selbstzweifel-Sphären:
- Warum bin ich nicht so weit?
- Wieso habe ich nicht solche Erfolge vorzuweisen?
- Leiste ich denn genug?
Fragen wie diese, treiben uns in den unerbittlichen Wettstreit mit uns selbst. Und schon hängen wir im Hamsterrad der Selbstoptimierung fest. Dabei sind wir so sehr damit beschäftigt, unser Dasein und Wirken zu kontrollieren und zu verbessern, dass wir unsere Werte und Haltung vergessen. Fragen wie
- Warum tue ich, was ich tue?
- Was ist mir wichtig?
- Gehe ich noch meinen Weg?
werden stiller. Indem wir uns ständig von anderen überholt fühlen, verlieren wir den Blick für unseren persönlichen Fokus. Und anstatt tief durchzuatmen und zurück zum eigenen Warum zu finden, hetzen wir luftringend einem imaginären Ideal hinterher. Geblendet und eingeschüchtert von all den Erfolgsstories, die uns über Instagram und Co. verkauft werden, verinnerlichen wir das Gefühl, dass wir es ohnehin nicht schaffen.
Das Problem mit dem Vergleichen: Der fehlende Blick hinter die Erfolge
Wir setzen andere auf ein Podest und vergessen dabei, wie sie dort hingekommen sind. Wir hinterfragen nie den Weg zum Erfolg, sondern sehen nur das erreichte Ziel.
- Das erfolgreich geführte Café, das jeden Tag 100te Besucher:innen zählt.
- Das erste veröffentlichte Buch, das international gefeiert wird.
- Der digitale Nomade, der mit Laptop und Kaffee die Meeresbrise am Balian Beach genießt.
Bei all diesen Bildern kommt uns jedoch ein Gedanke selten in den Sinn: Die vielen Stunden ohne Applaus hinter den gezeigten Glücksmomenten.
- Die bürokratischen Hürden, bis zur Eröffnung des Cafés.
- Die unzähligen Schreibblockaden bis zum fertigen Roman.
- Die persönlichen Krisen bis zur erfolgreichen Selbständigkeit.
Der Blick hinter die Erfolge bleibt meist unzugänglich. So nehmen wir die Inszenierung des perfekten Endzustandes als Ausgangspunkt für unsere eigenen Leistungen. Wir teilen unsere Erfolge, doch nicht unsere Niederlagen und Herausforderungen. Fehler setzen wir mit Scheitern gleich, sehen darin aber selten die Chance auf Weiterentwicklung. Anstatt eine positive Fehlerkultur zu leben, an der wir persönlich und beruflich wachsen dürfen, verurteilen wir Misslingen. Dabei ist es völlig in Ordnung, Neues zu lernen, darin vielleicht nur mittelmäßig zu sein oder gar zu scheitern. Wir leben in einer Welt, die uns durch und durch perfektioniert serviert wird. Der Blick auf die erreichten Ziele anderer irritiert unser Selbstbild. Wir empfinden uns als minderwertig, weil wir dieses oder jenes noch nicht geschafft haben. Und so führen wir einen ständigen Kampf gegen uns selbst.
Durch mehr Selbstempathie Vergleicheritis positiv nutzen
Wenn wir hohe Erwartungen an uns setzen, treten wir häufig in eine rücksichtslose und schmerzvolle Beziehung mit uns selbst. Wir nehmen unser Tun für selbstverständlich, hetzen uns ab und vergessen dabei, die eigenen Erfolge (auch die kleinen) zu feiern. Nie ist es genug. Nie sind wir genug. Wir wollen schneller, höher, weiter. Bis wir tief fallen, um daran erinnert zu werden, dass wir den inneren Widerstand loslassen und uns in Selbstempathie üben müssen. Als Menschen wollen wir Anerkennung und wertgeschätzt werden, dafür wer wir sind und was wir tun. Doch bevor wir uns fremden Zuspruch holen, müssen wir bei uns selbst beginnen. Indem wir unsere eigenen Möglichkeiten, Ziele und notwendigen Pausen anvisieren. So erkennen wir, dass der einzig sinnvolle Vergleich, der mit unserem Vergangenheits-Ich ist. Wir erinnern uns daran, wo wir am Anfand standen und wo heute. Heben hervor, was wir geschafft haben, und sind stolz auf unsere gewachsenen Fähigkeiten und Beziehungen. Und wenn wir den Vergleich mit unserem Vergangenheits-Ich akzeptieren und respektieren, nehmen wir den Vergleich mit anderen ebenso positiv wahr. Indem wir ihre Arbeit anerkennen und als eigene Inspirationsquelle nutzen, entwickeln wir den Mut neue und ungewohnte Wege zu gehen, die einen Mehrwert für uns und andere schaffen. Entscheidend ist also, wie wir mit selbst gesteckten Erwartungen umgehen. Ob wir uns durch das Tun anderer unter Druck setzen oder ob wir ihr Schaffen als gesunde Motivation dafür nutzen, näher an unsere eigenen Ziele zu kommen.
Auf den Punkt gebracht: Vergleichen ja, aber richtig
- Zu hohe Erwartungen an uns selbst machen Druck. Was wir gesellschaftlich brauchen, ist eine positive Fehlerkultur, in der wir scheitern und daran wachsen dürfen. So lernen wir unsere geleistete Arbeit zu schätzen und können unserem Tun mit mehr Selbstempathie begegnen.
- Indem wir regelmäßig innehalten und unser persönliches Warum hinterfragen, orientieren wir uns mehr an unseren eigenen Zielen, anstatt an den Zielen anderer. Dadurch bleiben wir motiviert, kreativ und produktiv.
- Sich zu vergleichen ist ein natürlicher Prozess. Wenn wir es schaffen, den einzig wahren Vergleich – den mit unserem Vergangenheits-Ich – wertzuschätzen, kann der Vergleich mit anderen ebenso positiv auf uns wirken. Dies bietet uns die Möglichkeit, die Erfolge anderer als Inspiration und Motivation für unsere eigenen Ziele zu verinnerlichen.
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